Engadin Marathon
Ein Highlight im Engadin ist natürlich der „Engadin Skimarathon“, der seit 1969 immer am zweiten Wochenende im März ausgetragen wird. Er führt von Maloja über die zugefrorenen Seen bis nach St.Moritz, durch den Wald nach Pontresina und dann endlos lang am Flugplatz Samedan vorbei nach S'Chanf. Ca. 10 000 Teilnehmer aller Altersklassen nehmen an ihm teil.
Die Strecke wurde vor einigen Jahren neu vermessen und ist jetzt genau 42 195 m lang,
entspricht also der Original Marathon Strecke. Die Besten brauchen 1 Stunde 35 Minuten,
die Letzten, so wie ich, etwa 6 – 7 Stunden. Er ist der Höhepunkt der Skisaison, danach wird alles etwas ruhiger. Die Preise in den Restaurant's werden auf ein normales Mass zurück gesetzt, man bekommt auch wieder ein Zimmer, wenn man möchte.
Obwohl die Temperaturen im März schon etwas höher sind, sind die Seen noch so tief gefroren, das der Lauf über die Eisflächen des Silser,- und Silvaplanasee geführt werden kann. Nur zweimal in der Geschichte des Marathon musste die Strecke verlegt werden, weil das Eis schon brüchig war.
An diesem Morgen, am 2. Wochenende im März ist es jedenfalls bitterkalt. Wir sind mit der Bahn nach St.Moritz und dann mit einem Bus nach Maloja zum Startplatz gefahren. Der Fahrer wünscht uns einen Platz besser als beim letzten Mal. Witzbold.
Und nun stehen wir am Startplatz und warten.Ich beobachte die Gesichter der Teilnehmer, es geht von nervöser Erwartung bis zur gespielten Gleichgültigkeit.
In manchen liest man genau, wie sie die Strecke im Geiste noch einmal abfahren, andere wieder diskutieren ob richtig gewachst wurde. Mir schlägt die Anspannung auf die Blase aber die Dixie-Klo's mag ich nicht benutzen. Also, rechts raus und den „gelben“ Markierungen im Schnee folgen.
Auch die Schweizer Armee hilft mit, dieses Ereignis durchzuführen. Man kann seine privaten Sachen in einen Sack packen, der dann von Armee Lastwagen zum Ziel gefahren wird.
Müssen wir nicht, da wir uns mit unseren Frauen verabredet haben, erst in Pontresina und dann im Ziel .Vor dem Start versuchen mehrere Animateure mit entsetzlich lauter Musik die Teilnehmer zu Turnübungen zu bewegen um sich warm zu halten oder warm zu machen. Es gelingt mehr oder weniger gut. Über allem liegt, das merkt man sehr deutlich, eine nervöse Spannung!
Als erstes starten um 8:40 die Top Läufer, die die Strecke in gut ein einhalb Stunden laufen. Man muss sich das vorstellen, das entspricht einem Schnitt von fast 30 kmh! Sagenhaft!
Es gibt auch Spaßvögel unter den Läufern, die sich entweder als Teufel verkleidet haben oder eine Gruppe die eine Kuh aus Pappmaschee ins Ziel bringen will. Ob sie es geschafft haben?, ich weiß es nicht!
Um 9:20 geht es dann endlich auch für die Gruppe der Volksläufer los. Die Loipen für die „klassic“ Läufer sind ganz rechts, am Start sind es 8 Bahnen, später dann nur noch 2. Es sind nicht mehr allzu viele, die in diesem Stil laufen, der überwiegende Teil läuft im skating. Aber man braucht dafür auch spezielle Skier und einen Lehrgang und beides kostet viel Geld. Wir wollten immer, beim Vorsatz ist es dann geblieben. Natürlich sollte man auch im klasischem Stil eine gewisse Technik beherrschen, da man sonst sehr schnell ermüdet.
Viele rennen nach dem Start los, als ob es darum geht schon auf den ersten Metern einen Vorsprung heraus zu laufen. Was soll das, es liegen noch 42 195 m vor den Läufern.
Die Strecke über die zugefrorenen Seen ist eigentlich ein Genuß, da die Bahnen und Loipen topfeben und erstklassig gespurt sind und ab Mittag der Maloja Wind noch etwas anschiebt.
Eigentlich …. wenn der Ehrgeiz nicht wäre! „ Verdammt, der Dicke da vor dir muss doch zu kriegen sein! „ denke ich . Damals war ich noch erheblich dünner wie heute, konnte also mit Fug und Recht von einem „Dicken“ sprechen. Aber die klare Luft im Engadin täuscht über die Entfernung, er kommt und kommt nicht näher! Na ja, was soll's, lauf ich eben meinen Stil weiter, denn die Gemeinheiten der Strecke kommen noch. Bei Surlej ist die erste Verpflegungsstation, es gibt warmen Tee, Bananenstückchen, Fruchtsaft oder einfach Wasser. Es wird alles in Plastik Bechern ausgeschenkt und viele nehmen sich nicht die Zeit die Becher in die Abfallkörbe zu werfen! Entsprechend sieht der
Boden aus. Dann ein kleines Stück durch den Wald und die erste Gemeinheit taucht auf, der
Anstieg zur Olympiaschanze. Er ist nicht lang aber sehr steil und meistens bildet sich hier ein Stau. Es gibt verschiedene Techniken um die Steigung zu überwinden, das einfachste wäre die Skier abzuschnallen und zu Fuß rauf zu gehen, aber das ist verboten! Die Profis nehmen diese Steigung im Laufschritt, mir ist nicht klar wie sie das schaffen. Der Nichtprofi hat zwei Möglichkeiten :
Entweder man geht im Diagonalschritt nach oben oder man stellt sich quer zum Hang und geht seitwärts rauf.
Natürlich muß man sehr obacht geben das man nicht abrutscht und dadurch andere Läufer behindert oder umreist, denn die Loipe ist durch die vielen Läufer schon arg glatt geschliffen.
Ich hab mich für den Seitwärtsgang entschieden, dauert zwar etwas länger aber es gelingt mir schon im ersten Versuch! Dann eine lange Abfahrt nach St.Moritz Bad. Hier ist eine Strasse mit Schnee so präpariert, das man darauf lang laufen kann. Man kommt durch ein kleines Zeltdorf, das extra für den
Marathon errichtet wurde und in dem die Zuschauer etwas essen und trinken oder all die Sachen kaufen können, die man als Skiläufer garantiert nicht braucht, wie zum Beispiel Stirnbänder aus Seide oder isotonische Stärkungsgetränke.
Das einzig Gute, alle Läufer bekommen von den Anwesenden freundlichen Beifall.
Gleich nach St.Moritz Bad beginnt die zweite Gemeinheit der Strecke, die Fahrt durch den Stazerwald, den boshafte Zeitgenossen auch “Stürzewald“ nennen.
Das sagt alles über die Strecke, die zwar landchaftlich wunderschön ist, weil sie meistens durch den Wald geht, aber deswegen auch sehr schmal und durch die vielen Läufer entsprechend glatt ist. Der schlimmste Abschnitt kommt dann kurz vor Pontresina, auf ca. 200-300 m auf einem schmalen Waldweg mit engen Kurven. Mit Abfahrtsski und Stahlkanten mag das ja angehen, aber mit den Langlaufbrettern ist das so eine Sache. Man muss, genau wie bei der Schanze, sehr aufpassen um nicht selbst zu stürzen oder andere umzurennen!
Die Bäume haben sich wohlweislich mit dicken Stroh oder Schaumstoffmatten geschützt!
Auch hier gibt es verschiedene Techniken, entweder Augen zu und drauf und dran und durch oder sachte im Schneepflug um die Bäume und Kurven herum.
Ich habe mich für den Schneepflug entschieden und mit etwas Glück komme ich ohne Sturz zwischen den Bäumen durch, muss dann aber ca. 200 m Umweg laufen, weil die Schneebrücke, die aufgeschüttet wurde um die Eisenbahnlinie zu überqueren, mittlerweile wieder geräumt ist. Dann noch eine Linkskurve und hinunter nach Pontresina zur zweiten Verpflegungsstation. Hier hat man die Hälfte der Strecke geschafft, oder als Pessimist, noch die Hälfte vor sich. Ich bin schon ziemlich geschafft, was man mir auch ansieht. Von der Zeit her ist meine Wunschvorstellung die Strecke in fünf bis fünf einhalb Stunden zu laufen nicht mehr zu schaffen! Ein Arzt, der in einem Motor Schlitten die Teilnehmer begleitet, sieht etwas mißstrauisch auf mich. „Gaht's Guat „? kommt die Frage. Auch meine Frau sieht mich fragend an, „willst Du aufhören?“ Nein, das kommt nicht in Frage , ich laufe weiter und wenn ich 7 Stunden brauche.
Die Pause in Pontresina hat mir gut getan, es geht weiter. Und komisch, der Druck, eine gute Zeit laufen zu wollen ist weg. Ich werde das Rennen zu Ende laufen, egal in welcher Zeit. Hinter Pontresina, am Restaurant der Talstation vom Punt Muragl bekomme ich von den dort sitzenden starken Beifall, den ich sehr genieße.
Jetzt beginnt ein langweiliger Teil der Strecke, immer am rechten Talrand,am Flughafen Samedan vorbei, durch Dörfer mit einem unaussprechlichen Namen, wie La Punt, Chamues-ch, Zuoz (liegt am linken Talrand) , S-chanf. Alle 5 Km steht ein Schild an der Piste, das die Entfernung vom Start her anzeigt. Entlang der Strecke stehen Zuschauer, die je nach Temperament anfeuern oder höflich Beifall klatschen. Manche verteilen auch Bananenstückchen oder warmen Tee aus Thermoskannen.
Und da es nun auch schon Mittag ist, hat sich auch der Maloja Wind aufgemacht und gibt kräftig Unterstützung. Aber das Beste kommt in Chamues-ch, hier läuft eine junge Frau mit einer Kuhglocke in der Hand neben mir her und feuert mich an als ob ich der Erste wäre und nicht der Letzte. Ich finde es toll, das nicht nur die Leistung des Sieger's , sondern auch die der Letzten gewürdigt werden.
Für mich war es das Highlight des Marathon Laufes. Ich musste mir danach die Nase putzen und die Augen wischen, aber das kam sicher vom Fahrtwind!
Ab und zu kommt der Arzt auf seinem Schneemobil angebraust und stellt die Frage „Gaht's Guat „die ich mit einem Kopfnicken beantworte. Das Fahren auf dem Motorschlitten macht ihm Spaß, das merkt man. Na ja, er muss sich ja auch nicht mit der Strecke abschinden sondern sitzt bequem in seinem Schlitten und wird gefahren.
Jetzt merke ich aber auch die 37 km, die schon hinter mir liegen, die Skier oder ich laufen nicht mehr so gut. In der letzten Abfahrt vor den Golan Höhen bin ich fast am Verzweifeln, eigentlich müsste doch hier mehr Tempo möglich sein. Erst hinterher wird mir klar, das die Loipe aufgeweicht und stumpf geworden ist.
Aber so schlecht ist das auch nicht, denn dadurch kann ich die nächste Steigung, die Golan Höhen besser nehmen. Die Golan Höhen, die dritte Gemeinheit der Strecke. Es sind nur noch 5 km bis zum Ziel, aber vor den Erfolg hat irgend ein Witzbold noch mehrere Steigungen, eben die Golan Höhen gesetzt. Sie sind nicht allzu steil, aber die 37 km, die ich schon in den Knochen habe, merke ich doch sehr. Auf der Höhe steht normalerweise ein Fotograf, der Bilder von den Teilnehmern macht. Als ich endlich ankomme, hat er schon Feierabend gemacht, ist nach Hause gegangen und trinkt Kaffee!
Dann eine scharfe Linkskurve, eine Kurve nach rechts und ich habe den Zielraum und nach weiteren ca. 200 m das Ziel erreicht ! 42195 m! Das ist die Entfernung von Hannover nach Hildesheim. Offiziell bin ich nicht mehr in der Zeit, weil ich das Limit überschritten habe. Aber in den Siegerlisten werde ich als 8991 (oder so) geführt und soweit ich das sehe habe ich etwa 100 Läufer hinter mir gelassen. Nicht das ich sie überholt habe, viele haben aufgegeben und sind das Rennen nicht zu Ende gelaufen. Direkt hinter mir waren nur noch 2 !!!! Läufer.
Fazit : Es ist keine Schande Letzter zu werden, aber eine besondere Ehre ist es auch nicht!
Das war der Engadin Skimarathon 2003!